Was hat  gezieltes Gedächtnis-training mit besserer Sensorik zu tun?

Sensorik und Übungen, die den Kopf fit halten, gehören im ersten Moment nicht intuitiv zusammen. Wobei…..vielleicht gibt es doch einen Zusammenhang?

Das sogenannte ganzheitliche Gedächtnistraining gliedert sich in 12 Trainingsziele:

Merkfähigkeit, Wortfindung, Logik, Wahrnehmung, assoziatives Denken, Zusammenhänge erkennen, Urteilsfähigkeit, Konzentration, Strukturieren, Kreativität & Fantasie, Formulierung, Denkflexibilität.

Ich suche dir die wichtigsten heraus und erkläre, wo ich den Zusammenhang zur Sensorik sehe. Vielleicht siehst du das auch so?

 

Kaffee-Sensorik sieht oft aus wie eine chaotische Wissenschaft, ohne Anfang und ohne Ende. Doch es geht auch anders. Auch in der Sensorik gibt es ein Gerüst, und dieses haben wir genutzt, um unser neues Fachbuch zu strukturieren.

In einem 3-Schritte-System kommen wir auf passende Begriffe, um unseren Kaffee treffend zu beschreiben. Deswegen heißt es im Untertitel auch „Systematisch verkosten, bewerten und beschreiben“.

Wir wollen also unseren Kaffee nun treffend beschreiben. Das ist nur eine von vielen Aufgabe der Sensorik, denn mit ihr können wir auch harmonische Blends entwickeln, Qualitätsmanagement betreiben oder den Austausch von Kaffes in Kompositionen bei unveränderter sensorischer Wahrnehmung gewährleisten.

 

Nummer 1: Assoziatives Denken

Was bedeutet es? Verknüpfung neuer Informationen mit bereits gespeicherten

Hier kommt mein Beispiel: Wenn wir Kaffees verkosten kann diese Fähigkeit sehr nützlich sein, um sensorische Informationen aus dem Kaffee (z.B. Aroma, Flavour) mit bekannten Informationen wie den Geschmack von Kirsche oder Tabak zu verknüpfen. Wir suchen in unserem Gedächtnis nach bekannten Aroma- oder Geschmacksmustern, mit denen wir den neuen Reiz aus dem Cupping verbinden (assoziieren) können.

 

Nummer 2: Konzentration

Was bedeutet es: Die ungeteilte Aufmerksamkeit für eine bestimmte Zeit auf eine Sache lenken.

Hier kommt mein Beispiel: Konzentration ist, wenn man sich tief in ein Cupping versinkt und keine Ablenkung gelten lässt.

Eine Fähigkeit, die sich auch bei Kaffee-Meisterschaften als wertvoll erweisen kann: Auf der Wettkampf-Bühne wimmelt es praktisch vor Ablenkungen. Gut gerüstet ist, wer sich auf den Punkt konzentrieren kann.

Ebenfalls ist es eine nützliche Fähigkeit, wenn Kaffeeröster und Mitarbeiter der Qualitätssicherung ihre Tagesproduktion in aller Ruhe cuppen und bewerten. Ohne Konzentration schleichen sich Ungenauigkeiten ein.

Nummer 3: Merkfähigkeit

Was bedeutet es: Die Fähigkeit, Wahrnehmungen kurzfristig und langfristig zu speichern.

Hier kommt mein Beispiel: Wer einmal ein Cupping mit mehr als acht Kaffees mitgemacht hat, weiß, dass es nützlich sein kann, nach Kaffee Nummer acht noch eine Ahnung zu haben, wie Kaffee Nummer eins schmeckte.

Übungen aus der Rubrik Merkfähigkeit können uns hier unterstützen. Langfristig kann es helfen immer neues Vokabular zur Beschreibung von Kaffee langfristig zu speichern.

Nummer 4: Urteilsfähigkeit

Was bedeutet es: Beurteilung einer Situation und treffen einer Entscheidung nach Abwägen aller bekannten Fakten.

Hier kommt mein Beispiel: Besonders, wenn wir Kaffee umfangreich bewerten sollen, kann diese Fähigkeit von großem Nutzen sein.

Die Arbeit mit einem Cupping-Protokoll erfordert viele Entscheidungen: Wie viele Punkte gebe ich dieser Eigenschaft im Kaffee?

Wenn am Ende die Frage steht: Kaufe ich diesen Kaffee für mein Sortiment, dann ist Urteilsfähigkeit im Spiel.

Nummer 5: Wahrnehmung

Was bedeutet es: Etwas bewusst mit einem, mehreren oder allen Sinnen aufnehmen.

Hier kommt mein Beispiel: Wie deutliche nehmen wir Süße, Säure, Bitterkeit, Umami und Salz wahr? Wie riecht das Kaffeemehl, welche Aromen nehmen wir beim Cupping wahr.

Für alle diese Situationen ist eine gute Wahrnehmung nützlich. Wir nehmen Eindrücke bewusst wahr und können sie besser bewerten, besser abspeichern und besser wieder abrufen.

Nummer 6: Wortfindung

Was bedeutet es: Abrufen von Wörtern aus dem Wortspeicher und bewusst machen des eigenen Wortschatzes.

Hier kommt mein Beispiel: Diese Fähigkeit zu trainieren hilft uns den aktiven Wortschatz für die Beschreibung von Kaffee zu vergrößern. Je größer unser Wortschatz ist, desto mehr Alternativen stehen uns bei der Wortwahl zur Verfügung.

Beschreibungen gehen uns einfacher von den Lippen. Ist es eher Erdbeere oder Rhabarber, was ich in meinem Kaffee wahrnehme? Oder Milchschokolade, Kakao oder doch Zartbitterschokolade?

Nummer 7: Zusammenhänge erkennen

Was bedeutet es: Neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen integrieren und sinnvolle Zusammenhänge herstellen.

Hier kommt mein Beispiel: Vor allem in Gesprächen und dem kollegialen Austausch formen sich Fakten und Assoziationen zu Ketten und Puzzleteile fügen sich zusammen. Es entsteht der „Aha“-Effekt.

Klingt ja schön und gut, aber kann ich das auch lernen?

Ja, denn das Zauberwort lautet Neuroplastizität. Es bedeutet, dass unser Gehirn formbar ist, sogar bis ins hohe Alter!

Je nach Anforderungen in unserem Leben, baut das Gehirn neue Synapsen auf, und bildet andere zurück. Einfaches Beispiel: Eine Sprache, die wir zu Schulzeiten gut beherrschten, aber heute nur noch lückenhaft erkennbar ist.

Gleichzeitig können wir jederzeit jede neue Sprache lernen, die wir wollen. Zum Beispiel Kaffee-Vokabular aufbauen und trainieren. Das Gehirn baut sich für das Training die notwendigen Synapsen einfach auf.

Spaß? Spaß!

Um unsere Gedächtnisleistung langfristig zu verbessern oder zu erhalten, benötigen wir auch noch eine ausgewogene Prise Bewegung, Ernährung und Pausen.

Erst alles zusammen und in einem ausgewogenen Verhältnis bringt uns nach vorne.

Und den Spaß an der Sache sollten wir auch nie vergessen

Gibt es da auch etwas Wissenschaftliches zu?

An dieser Stelle gebe ich nur einen Einblick in die Wissenschaft zu diesem Thema. Es gibt einfach zu viel und das würde unseren Rahmen hier sprengen.

Die Verbindung von Sensorik und Gedächtnistraining wird 1988 in einem Tagungsband zur Lebensmitteltechnik erörtert. Darin heißt es auf Seite 215:

„……(…), läuft die (afferente) Geruchsinformation in den Axonen der Mitralzellen zentralwärts am Riechstrang (Tractus olfactorius), der die olfaktorischen Erregungen an viele nachgeordnete Gehirngebiete vermittelt, u.a. an das für Emotionen und Gedächtnis wichtige Limbische System mit dem Hippocampus und Amygdala, ..(…) sowie zum hypothalamischen vegetativen Kernen. (…)“.

 

Kurz gesagt: Geruchsinformationen gelangen über verschiedene Stationen ins Gehirn mit seinen vielfältigen Komponenten. Die Idee, Sensorik und die Leistungen des Gehirns zu verbinden gibt es schon sehr mehr als 20 Jahren.

 

Einen weiteren Zusammenhang stellt Professor Dr. Goetz Hildebrandt her. Er geht ausführlich auf die Verbindung zwischen sensorischer Wahrnehmung und der Verarbeitung aller Informationen im Gehirn ein. Im Buch „Geschmackswelten. Grundlagen der Lebensmittelsensorik“ von 2008 schreibt er auf den Punkt auf Seite 75:

„Indem wir besser über das Bescheid wissen, was beim Geschmackskarnevel abläuft, können wir Strategien und Programme entwickeln, die uns helfen, das kulinarische Empfinden zu kultivieren und vielleicht sogar unser Gehirn fit zu halten“.

 

Anders gesagt: Wenn wir verstehen, was beim Essen und Trinken passiert, können wir unsere Wahrnehmung verbessern und vielleicht auch unsere geistige Fitness.

Bleibt die Frage: Lohnt es sich?

Es gibt eine sinnvolle Verbindung zwischen Gedächtnistraining und Kaffee-Sensorik.

Dabei sind vor allem sieben der zwölf Trainingsziele aus dem ganzheitlichen Gedächtnistraining relevant.

Besondere Effekte für unseren Kopf können wir außerdem erzielen, wenn wir uns dazu noch bewegen, auf unsere Ernährung achten und ausreichend Pausen einlegen.

Und nicht zu vergessen: Spaß sollte es auch machen! Macht uns etwas Spaß schüttet der Körper Dopamin aus. Und das hilft uns beim Lernen und Behalten.

Der Zusammenhang zwischen Sensorik und unserem Gehirn ist Wissenschaftern schon 1988 aufgefallen.